Professurenporträt: Robert Schneider-Reisinger

Robert Schneider-Reisinger gibt einen kurzen Einblick in sein Tätigkeitsfeld.

Seit dem Wintersemester 2022 hat er die Professur für Inklusive Pädagogik und Behinderungsforschung inne. Wir haben ihn um einen kurzen Einblick in seine Arbeit gebeten.

Was sind die Ziele und Schwerpunkte Ihrer Professurenstelle?
Inhaltlich handelt es sich um die Beforschung und forschungsgeleitete Vermittlung inklusiver Pädagogik, d. h. einer Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaft, die das uneingelöste Versprechen auf „Allgemeinbildung für alle“ wirklich einzulösen versucht. Fokussiert wird die selbstbestimmte Teilhabe vulnerabler und marginalisierter Menschen an der Re-Produktion des unfassbaren Reichtums des sozial-kulturellen Menschheitserbes und der entsprechenden natürlichen Ressourcen. Vor dem Hintergrund des Menschenrechtsprozesses liegt der Fokus auf Behinderung, wobei ich eine kritisch-materialistische Perspektive vertrete, also von der These geleitet bin, dass das „Sein der Menschen ihr wirklicher Lebensprozess“ ist. Damit verbunden ist eine enge Verzahnung – ja Einheit von Theorie und Praxis sowie der ausdrückliche Anspruch auf Solidarisierung mit und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen.

Was sind konkrete Projekte?

Im aktuellen Buchprojekt unterziehe ich meine Habilitation einer umfassenden und dekolonialen Kritik. Dabei versuche ich in den Kern pädagogischer Ökonomie vorzudringen. Ich denke, dass das Kernmoment von (inklusiver) Bildung in den produktiv-praktischen Austauschbeziehungen und Bewegungsformen von Anerkennung liegt und die pädagogischen auf gesellschaftliche verweisen. Auch ein zweites Projekt steht damit im Zusammenhang und versucht Einsichten der „Mad Studies“ für die Theorie inklusiver Bildung aufzuarbeiten. Dabei geht es insbesondere um eine konstruktive Kritik pädagogischer Epistemologie – also z. B. um die Frage, wer welche Praktiken auf Basis welcher Kompetenz und wie als „(inklusive) Bildung“, „inklusiv“ oder „bildungswissenschaftlich“ oder auf diese Weise markiert bzw. nicht markiert wird. Dabei sollen insbesondere die Rolle marginalisierter Forscher*innen und deren Positionen in der Theoriebildung inklusiver Pädagogik fokussiert werden. Ein drittes Vorhaben widmet sich der Dialektik von Erinnern und Vergessen und deren Bedeutung für (inklusive) Pädagogik bzw. im Rahmen von Erziehungs- und Bildungsprozessen. Alle diese Projekte sind theoriepraktisch angelegt.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Gerne würde ich in den vielen interessanten Kontakten in Wien ausloten, inwieweit sich gemeinsame Fragestellungen mit Kolleg*innen ergeben, um Inklusion und Behinderung im größeren Zusammenhang in den Blick zu nehmen (z. B. vor dem Hintergrund der sogenannten gesellschaftlichen Funktionen von Schule) und zugleich befreiungspädagogische Projekte initiieren. Dazu würde ich mich gerne auch im außer-/schulischen Feld umsehen bzw. Vereine und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie politisch Verantwortliche bei konkreten inklusiven Projekten unterstützen. Vielleicht gelingt es so auch für das Thema bzw. die damit verbundenen Anliegen eine Öffentlichkeit zu generieren sowie insbesondere die künftigen Pädagog*innen und Lehrer*innen für die Durchsetzung von Menschenrechten zu sensibilisieren.
 
Wieso interessieren Sie sich für dieses Feld?
Ein Grund besteht sicher in meiner beruflichen Sozialisation als Integrationslehrer und Sozialpädagoge. Ein weiterer liegt darin, dass sich – nicht nur bildungswissenschaftlich, aber auch und ganz besonders – die gesellschaftlichen Widersprüche von Bildung und Erziehung unter kapitalistischen und globalisierten Bedingungen „bei Behinderung“ ganz besonders deutlich zeigen. Das ist wissenschaftlich extrem spannend und verweist auf viele ohnehin immer wieder zu bearbeitende Frage- und Problemstellungen der Pädagogik. Der persönlichste Grund ist jedoch meine eigene Betroffenheit von einer „unsichtbaren Behinderung“ und die damit verbundenen Erfahrungen. Wenn ich als Mensch und in meinen Rollen dazu beitragen kann, dass sich das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen – besonders psychischen – differenziert und öffnet, dann wäre viel erreicht. Wenn ich auf diese Weise zudem Betroffenen hilfreich sein kann, umso besser.