Meine Forschung: Georg Schiemer (Philosophie)

Im folgenden Interview gibt Georg Schiemer einen Überblick über seine Forschung für das auslaufende ERC Starting Grant-Projekt.

Sie erforschen mit der Unterstützung eines ERC Starting Grant die Wurzeln des Strukturalismus in der Mathematik. Die Projektlaufzeit endet nun mit Ende Februar. Erzählen Sie uns bitte kurz über Ihre Forschung der letzten fünf Jahre:
Das Projekt hat sich in den vergangenen fünf Jahren mit den historischen Ursprüngen des mathematischen Strukturalismus beschäftigt, einer dominanten Position innerhalb der zeitgenössischen Philosophie der Mathematik. Unsere Forschungsgruppe hat sich dabei der Untersuchung unterschiedlicher Bereiche gewidmet. Ein historischer Fokus lag einerseits auf der Analyse von methodologischen Entwicklungen in der Mathematik des 19. Jahrhunderts, die einen „strukturellen turn“ der Disziplin mit sich geführt haben. Ein anderer Schwerpunkt war die vergleichende Untersuchung von frühen philosophischen Beiträgen zur strukturalistischen Mathematikauffassung, etwa in den Arbeiten von Ernst Cassirer, Edmund Husserl und Rudolf Carnap.  


Was waren die zentralen Fragestellungen bzw. größten Herausforderungen?
Eine zentrale Fragestellung des Projekts war, vereinfacht ausgedrückt, wie Mathematik sich im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu einer Wissenschaft von abstrakten Strukturen verwandelt hat. Um sich dieser Frage zu nähern, hat sich unser Team in den letzten Jahren intensiv mit unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der modernen Mathematik beschäftigt, beispielsweise mit der formalen Axiomatik David Hilberts oder Felix Kleins gruppentheoretischen Arbeiten zur Geometrie. Eine zweite Forschungsfrage war, was genau wir unter „abstrakten Strukturen“ als dem Gegenstandsbereich der Mathematik verstehen sollen. Die Forschung zu dieser und benachbarten Fragen hat zu Beiträgen in der analytischen Philosophie der Mathematik geführt, etwa zu Abstraktionsprinzipien oder zur logischen Charakterisierung von strukturellen Eigenschaften.


Was war das Ziel und haben Sie das Gefühl, dass Sie es erreicht haben?

Das Ziel lag darin, einen wesentlichen Beitrag zur historischen und philosophischen Analyse der Wurzeln des mathematischen Strukturalismus zu liefern. Ich glaube, dass unser Projekt in dieser Hinsicht durchaus erfolgreich war. Wir verstehen nun deutlich besser, warum der bereits erwähnte „strukturelle turn“ innerhalb der Mathematik stattgefunden hat. Außerdem konnten einige der entscheidenden Beiträge zu diesem neuen Bild von Mathematik erstmals detailliert untersucht und zu zeitgleichen Entwicklungen in Beziehung gestellt werden. Gleichzeitig hat die Forschung am Projekt auch gezeigt, wie viele Puzzlesteine für ein präzises Verständnis des mathematischen Strukturalismus und dessen Geschichte noch fehlen. Es bleibt also auch nach dem Projektende noch Einiges zu tun.


Haben Sie alleine geforscht oder hatten Sie Unterstützung?
Die Forschung an dem ERC Projekt war ganz klar Teamarbeit. Unsere Gruppe bestand aus den folgenden Kolleg*innen: Inger Bakken Pedersen, Henning Heller, Francesca Biagioli, John Wigglesworth, Günther Eder und Florian Kolowrat. Darüber hinaus waren in den vergangenen fünf Jahren mehrere internationale Kolleg*innen als Gastforschende im Projekt involviert, beispielsweise Erich Reck, Eduardo Giovannini, Rachel Boddy und Andrea Sereni.


Wie geht es nun weiter?
Die nächsten Monate werden, neben meiner Lehrtätigkeit, in erster Linie dem offiziellen ERC-Projektabschluss und damit verbundenen Finanzbericht gewidmet sein. Danach will ich die schon seit Jahren geplante Monographie zu dem Projekt (unter dem vorläufigen Titel The Roots of Structuralism) fertigschreiben.


Wo kann man mehr über aktuelle Forschungsprojekte von Ihnen erfahren?
Unsere Projekt-Webseite https://structuralism.phl.univie.ac.at sollte einen guten Überblick über die Forschungstätigkeiten und Ergebnisse des Projekts liefern. Darüber hinaus sind alle im Projekt entstandenen Publikationen open access erschienen und über das u:scholar repository der Universität Wien beziehbar.

Vielen Dank und alles Gute für Ihre weitere Forschungstätigkeit!